Stationen
Objekt Bild

Am Rathaus
45468 Mülheim an der Ruhr

Lederindustrie in Mülheim

Die Verwendung von Tierhäuten ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Unverarbeitet bereitet dies allerdings einige Probleme. Trocknet Tierhaut einfach, wird sie hart und brüchig. Feucht gehalten bleibt sie biegsam, aber der Verwesungsprozess setzt ein.

Behandelt mit natürlichen Produkten, wie Baumrinden oder Alaunstein, gekaut und mit Ölen und Fetten weich gemacht oder im Rauch von Feuern hängend gelang es unseren Vorfahren, die Tierhäute so zu behandeln, dass sie zu einem weichen, haltbaren Material wurden – Leder.

Die Kunst der Lederherstellung bescherte der Menschheit ein Material, das sehr vielseitig einsetzbar war, als Wasserbehälter, Kleidung, Zeltbahn, Bespannung für Boote, Schuhwerk und vieles mehr.

Broicher MühleBroicher Mühle

Die Lederherstellung findet sich bei vielen Völkern und Kulturen rund um den Globus. Die Ägypter trugen Sandalen aus Leder und fertigten auch vieles andere aus diesem Material.

Bei der bekannten Gletschermumie Ötzi fand man einen Lederstreifen, der als Gürtel genutzt wurde, welcher sogar eine kleine, aufgenähte Tasche aus Leder aufwies. Viele Ausrüstungsstücke der römischen Legionäre wurden aus Leder gefertigt und im römischen Reich wurden neue Gerbverfahren entwickelt, um Leder einfacher herstellen zu können, womit auch einfachen Leuten Lederwaren zugänglich wurden.

In Europa stieg der Bedarf nach diesem strapazierfähigen Material und im Mittelalter wurden auch hier die Herstellungstechniken verbessert. Die Herstellung von Leder, das Gerben, benötigte sehr viel Wasser weshalb die Gerbereien meist an Bächen und Flüssen lagen.

Bis zum Beginn des 17.Jahrhunderts breitete sich das Handwerk der Gerber so weit aus, dass der bis dahin meist in Städten ausgeübte Beruf auch in ländlicheren Gegenden Fuß fasste. Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden Großbetriebe und Manufakturen und es wurde von wissenschaftlicher Seite her daran gearbeitet, Gerbverfahren zu verbessern.

Die Gründung der Schumacher- und Löherzunft (Lohgerber – Gerben mit speziellen Baumrinden) in der Mitte des 17.Jahrhunderts war der Grundstein der Mülheimer Tradition der Lederherstellung.

Die Bedingungen in Mülheim waren dafür sehr gut. Es gab in der Umgebung viele Bauernhöfe, die Rinderhaltung betrieben und damit die benötigten Häute liefern konnten. Es gab viele Eichenwälder und somit genügend Baumrinde, aus der der Gerbstoff gewonnen wurde. Und natürlich gab es die Ruhr mit ihren Zuflüssen, die den enormen Wasserbedarf dieses Handwerks decken konnte. Die Gerbzeit einer Tierhaut konnte bis zu zwei Jahren betragen, bevor sie in Leder umgewandelt war.

Erst waren es in Mülheim meist nur kleine Familienbetriebe, die dem Geberhandwerk nachgingen. Später wurden auch größere Fabriken gegründet.

GerbereiGerberei

Die Lederindustrie begann das Stadtbild stark zu prägen, da die Betriebe in Mülheim ihre Standorte frei wählen konnten und so auch bis in das Stadtzentrum vordrangen. An allen Zuläufen der Ruhr wie dem Rumbach entstanden Gerbereien, so auch in der Wallstraße, der Aktienstraße und im Bereich von Eppinghofen sowie in Broich und Saarn. Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts war die Lederherstellung in Mülheim in ihrer absoluten Blütezeit angelangt. Mülheim war mit über 50 Lederfabriken die absolute Nummer 1 der Lederherstellung in Deutschland.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten Umweltauflagen zu einer Verteuerung der Produktion, neue Materialien wie Kunststoffe machten dem Leder zusätzlich Konkurrenz und viele Fabriken mussten schließen.

KassenbergKassenberg

Bis heute ist von dem gesamten Industriezweig der Lederherstellung in Mülheim nicht mehr viel übrig geblieben.

Von der Blüte der Lederindustrie zeugen heute nur noch die Gebäude, denn in Mülheim gibt es keine vollwertige Lederfabrik mehr. Architektonisch und städtebaulich von besonderer Bedeutung sind die Bauten der Lederfabrik Lindgens. Die Produktion wurde 1861 von Ludwig Lindgens gegründet und war bis 1994 noch ein Familienunternehmen. Im Leder- und Gerbermuseum in der ehemaligen Lederfabrik Abel können wir auch heute noch der einstigen Hochzeit des Leders in Mülheim nachspüren.

Quellen: